POLARITÄT UND SÜNDENFALL
Raus aus der Einheit, hinein in die Polarität.
Polarität entsteht, in dem man etwas Ganzes in zwei Teile teilt. Ähnlich, als wenn wir zum Beispiel eine Tomate einmal durchschneiden würden. Stellen wir uns also vor, wir bekommen von jemandem eine halbe Tomate geschenkt, ohne dass wir die andere Hälfte zu sehen bekommen. Dann lassen sich daraus einige Thesen aufstellen:
- Wenn es eine Hälfte gibt, muss es auch eine zweite/andere Hälfte geben
- Wir können uns zwar eine Vorstellung davon machen, wie die Tomate im Ganzen aussah, aber ganz genau wissen können wir es nicht (wer weiß, vielleicht war die andere Hälfte voller brauner Flecken, oder noch grün...)
Vom kleinen einfachen Beispiel zurück zum Großen Ganzen muss das heißen:
- Sind wir als Mensch hier Teil einer polaren Welt, so muss es auch eine „ganze Welt“ geben – die Einheit, Ganzheit und Vollkommenheit.
- Wir können Annahmen treffen, wie diese Einheit wohl sein mag, werden aber immer daran scheitern, uns ein 100%ig zutreffendes Bild davon zu machen. Unsere Vorstellungs- und Ausdrucksmöglichkeiten sind fest verknüpft mit der polaren, vergleichenden Welt hier auf Erden, die aus Gegensätzen aller Art besteht: schwarz/weiß, heiß/kalt, gut/böse, oben/unten, usw.
- Wir sind nicht in der Lage Einheit oder Unendlichkeit mit unserem Geist erfassen und beschreiben zu können. Dennoch muss es die Einheit geben – sonst gäbe es keine Polarität. Und da wir ein Teil dieser Polarität sind, sind wir auch ein Teil des Ganzen (wie die Kerne in der Tomatenhälfte, die ja auch ein Bestandteil der ganzen(!) Tomate sind).
Thorwald Dethlefsen erklärt in seinem Buch „Schicksal als Chance“ in sehr schlüssiger Weise, dass die Einheit aus sich heraus die Polarität geschaffen hat. Es geht hier ganz offensichtlich um Erkenntnis und Bereicherung. Erkenntnis setzt aber Subjekt und Objekt voraus, bzw. These und Antithese, aus der dann die Synthese werden kann. Wieder kommen wir also auf die Begriffe Pol und Gegenpol.
Wir Menschen machen auf der Erde, als Teil der vollkommenen Einheit, unsere Erfahrungen und probieren uns aus (jeder kennt das Try-und-Error-Prinzip). Dabei lernen wir alle Seiten kennen. Als Teil der Ganzheit (des Göttlichen) tun wir das nicht zufällig, sondern auf geistig-übergeordneter Ebene bewusst und aus freien Stücken (genauso schildert es uns auch die Geistige Welt). Es handelt sich also um eine Entscheidung auf der Seelenebene. Trotzdem steckt in uns allen die tiefe Sehnsucht nach der Rückkehr in die Einheit.
Das Thema der Polarität spielt auch in allen großen Religionen eine wichtige Rolle. So heißt es z.B. in der Bibel: Gott erschafft in 7 Tagen die Welt. Allerdings gilt das vorerst noch nicht für die materielle Ebene sondern ist eher als geistige Grundlage zu verstehen. Erst danach kommt es zur Formgebung. Gott erschafft aus Adam (noch als DER Mensch, ohne Teilung in Mann und Frau), seine Frau Eva – Gegensätze, wie männlich-weiblich treten zum ersten Mal in Erscheinung. Ihnen flößt er den Lebensodem ein und sie transformieren zu Seelenwesen. Doch beide befinden sich noch im Paradies, auf seelischer Ebene, ganz in der Einheit verbunden.
Nun kommt die Schlange ins Spiel. Sie verleitet den Menschen dazu, vom Apfel der Erkenntnis zu essen. Was ihn unweigerlich aus der paradiesischen Einheit wirft.
Der Mensch im Paradies besaß kosmisches Bewusstsein, aber keine Erkenntnis. Die Schlange kroch vom Baum und überredete den Menschen, den Weg der Erkenntnis zu gehen. Durch das Essen der verbotenen Frucht der Erkenntnis wurde der Mensch sehend, was gut und böse ist. Denn er stürzte aus der Einheit in die Polarität des Bewusstseins, er sonderte sich von der Einheit ab und wurde damit sündig. (Thorwald Dethlefsen)
Dethlefsen zufolge ist Sünde der Preis für Erkenntnis und der Anfang aller Polarität. Aber eben auch der Beginn, Erfahrung zu machen und sich weiterentwickeln zu können.
Übrigens genau diese Schlange, die am Baum herab kroch und damit den Mensch aus dem Paradies vertrieb und der – neben einigen paradiesischen Momenten –vor allem auch viel Leid und Schmerz erfährt, begegnet uns am Sinnbild für Heilung wieder, nämlich an dem Aesculapstab!
Heilung ist ein Schritt in Richtung Ganz-Werdung. Im günstigsten Fall geht mit jeder ausgeheilten Krankheit auch eine Reifung des Menschen einher. Am deutlichsten erleben wir das bei Kindern, die noch die Möglichkeit haben, klassische Kinderkrankheiten zu durchleben (in Zeiten von Mehrfachimpfstoffen im Kleinkindalter nicht so einfach). Fast immer stellt sich direkt im Anschluss ein neuer Entwicklungsschritt ein. Auf einmal schaffen sie Dinge, die sie vorher nicht konnten wie Krabbeln, Laufen, Sprechen. Erwachsene, die eine schwere Krankheit überstanden, ausgeheilt und durch-LEBT haben, berichten in Folge nicht selten von großen Bewusstseinserweiterungen.
Ohne Krankheit gäbe es keine Heilung, keine Reifung – heißt,
ohne die Un-Heil-bringende Paradiesschlange
gäbe es auch keine Heil-bringende Aesculap-Schlange.
Mit dieser Erkenntnis kann der Mensch sehr hilfreiche Sicht- und Umgehensweisen erlangen, um mit den Herausforderungen seines Lebens neu umzugehen. Das soll nicht heißen, dass wir Schmerz, Übel und Leid künstlich heraufbeschwören müssen – quasi zu den Junkies des Desaströsen avancieren – gemeint ist vielmehr: Wenn das Desaster auf uns trifft, sollten wir lernen es anzunehmen und es als Chance zur Reifung sehen. Ja, vielleicht sogar als einen weiteren Schritt hin in Richtung „zurück zur Einheit“…, nach Hause, begreifen.
Die Schlange aus dem Paradies in der Bibel wird in der christlichen Sichtweise oft mit der Figur des Teufels in Verbindung gebracht. Dabei gilt der Teufel auch als Herrscher über die materielle Welt bzw. die Polarität. Er verkörpert das Bild von der Teilung der Einheit in die Zweiheit, beschrieben in der Schöpfungsgeschichte.
Teufel als Symbolfigur
Der Teufel ist DAS Symbol für das Abgetrenntsein und die Sünde. Er hat damit in der Schöpfungsgeschichte den unangenehmsten Part abbekommen: Er ist Störenfried, Verführer und „Verhinderer“. Sobald wir auf seelischer Ebene über eine Brücke gehen, um zur Einheit zu gelangen, so steht er am anderen Ende und lässt uns nicht durch. Ein Job, bei dem er sich nur unbeliebt machen kann.
Kein Wunder, dass er, als Projektionsfigur, für alles UNGEWOLLTE, wie Leid, Schmerz und Verlust steht. Der Teufel symbolisiert das DUNKLE, Böse und Häßliche – die SÜNDE schlechthin. Mit unserem Streben nach Er-Leuchtung und dem sehnsuchtsvollen Wunsch zurück in die ursprüngliche Einheit zu kommen, machen wir ihn zum Sündenbock aller Zeiten. Dabei vergessen wir ganz, dass wir an ihm nicht vorbeikommen, wenn wir den Weg durch die Polarität erfolgreich bewältigen wollen. Und der heißt: JA sagen zum Leben.
Luzifer – der aus dem Himmel herabgefallene Lieblingsengel Gottes, Herr über alles Dämonische und Teuflische, einer DER Symbolträger und Projektionsfigur für alles was wir mit der sogenannten Sünde (hier symbolisch zu verstehen), Übel, Leid, Tod, Hass, Hölle und Schatten verbinden – gilt auch als der Lichtbringer. Der Teufel ist, genau wie der Mensch, abgetrennt von der (göttlichen, all-ein-igen) Einheit. Aber, als Herr alles Materiellen, bietet er den Gegenpol, den wir benötigen, um uns erfahrbar zu machen. So unglaublich das klingen mag, aber im eigentlichen Sinne dient er damit uns und unserer Entwicklung.
Das Gleichnis vom Teufel
Im „Pakt mit dem Teufel“ sein bedeutet also im eigentlichen Sinne, dass sich die menschliche Seele (hier in Menschengestalt materialisiert) ausprobieren will. Dinge, wie Macht, Brutalität und Einfluss erforscht. Dafür bittet sie (die Seele) Luzifer um Hilfe. Dieser verspricht gern seine Unterstützung, fordert dafür aber einen hohen Preis. Nämlich das zu bekommen, was er nicht hat: das HERZ! Versprochen ist es leicht, doch wer gibt schon gern sein Herz her? Was also macht ein enttäuschter, betrogener Teufel? Er wird mit ziemlicher Sicherheit sehr stinkig (Höllengestank!). Außerdem schwört er Rache. Wer sich an sein Versprechen nicht mehr erinnern mag, dem nimmt er alles, was ihm lieb ist: seine Lieben daheim, sein Hab und Gut, seine Sicherheit und seine Gesundheit.
So geht das zwiespältige, polare Spielchen über Äonen von Jahren, von Inkarnation zu Inkarnation immer weiter: Mensch hat Macht, Macht wird ihm genommen. Er erlebt Macht und Ohnmacht, bis er nicht mehr kann. Eines Tages fällt ihm wieder sein Versprechen ein. Immer noch etwas widerwillig steigt er hinab in die Hölle. Am Ende seiner Kräfte kommt er dort an, aber was er vorfindet ist nicht ein tobender, stinkender machthungriger Teufel, sondern ein Engel mit gebrochenem Flügel, schwarz verkohlt von den Höllenfeuern. Ein riesiges Loch klafft in seiner Brust. Da erkennt der Mensch, dass der Teufel zwar seinen Teil des Paktes eingehalten hat, er selbst aber nicht.
Er geht auf ihn zu und in dem Moment, als er ihm gegenübersteht, erkennt er sich selbst. Die Liebe, die er dabei empfindet, lässt ihn mit dem Teufel verschmelzen und sie werden eins. Pol und Gegenpol sind wieder miteinander verbunden.